Mit der "CONMAR GULF" nach Finnland
Diese Reise hat eine Vorgeschichte. Und die geht so: Als ich erfuhr, dass Klaus Risser und Wofgang Poddig auf dem Schiff sind, kam mir ganz spontan die Idee, die beiden durch Zustieg in Brunsbüttel zu überraschen. Wir kennen uns über diese Plattform, sind uns aber noch nie begegnet. Das wollte ich ändern.
Leider bot das Schiff nur 2 Passagierkammern an. Eine 3. Kammer ist Lotsen und Kanalsteurern vorbehalten. Die Reederei bot mir die nächste Reise an, die aber nicht in meinen Kalender passte. Also dann die übernächste. Von Brunsbüttel bis Brunsbüttel. Wie fast immer. Liegt bei mir vor der Haustür, sozusagen.
Klaus Risser hat die komplette Tour und das Schiff bestens beschrieben und bebildert. Wolfgang Poddig ein hinreißendes etwa 1 stündiges Video gedreht und 2 sprachig betextet.
Ich erzähle nur etwas über die Teilstrecke nach Finnland und zurück.
Wer eine Reise mit dem Frachtschiff plant, muss sich auf Zeitverschiebungen einstellen. Auch sehr kurzfristig. Das betrifft auch die Rückkehr. Kaum hatte man mir die Schleusung mit 9 Uhr angekündigt, wurde schon wieder auf 16 Uhr verschoben. So etwas ist völlig normal.
Der Makler in der Schleuse bot mir Gastfreundschaft im Büro bei einem Kaffee an, weil das Schiff wegen des starken und saukalten Windes Schlepper-Assistenz bei der Einfahrt in die Schleuse benötigte. Das dauert immer etwas länger.
Ich wurde dann an Bord begleitet – Vorschrift! - und ein Seemann brachte mich und mein Gepäck in die Eignerkammer. Auf Deck C. Das ist sozusagen der 3. Stock. 42 Stufen. Die hatte 3 Fenster mit freier Sicht nach Backbord und Achtern. Es konnten auch keine Container die Sicht versperren, was sehr oft der Fall ist. Oder der Schornstein steht davor.
Auf dem kleinen Außendeck davor, habe ich mir mit einem Stuhl meinen „Privatbalkon“ eingerichtet und in der Sonne Farbe getankt.
Nachdem ich mich eingerichtet hatte, bin ich auf die Brücke, mich an Bord zu melden und den Pass abzugeben, der bis zur Rückkehr in Verwahrung bleibt.
Nochmal 28 Stufen.
Diese insgesamt 70 Stufen macht man so etwa 1 Dutzend mal am Tag rauf und runter.
Das erste, was ich hörte, war: „Was machst DU denn hier???“ Der Kanallotse bis Rüsterbergen war mein Nebenmann im Shanty-Chor. Zufall.
Der interessierte sich stark für deutsche Geschichte, erzählte mir von den politischen Querelen vor dem Bau des Kanals. Da war man sich durchaus nicht einig. Auf seinem Handy hatte er viele Münzen und Medaillen gespeichert, die vom Kaiser geprägt wurden und sich auf den Kanalbau bezogen.
Eine hochinteressante Lehrstunde.
Besatzung: 4 Ukrainer, 1 Russe, 6 Philippinos (In der Küstensprache: Fipse). Als Arbeitssprache an Bord war zwar Englisch vorgegeben, es wurde aber fast nur russisch und Philippin-Staccato gesprochen.
Wir fuhren in einem – für mich – ganz besonderem Convoy aus der Schleuse:: Vor uns die FREJ, mit der ich schon unterwegs war, hinter uns die DORNBUSCH, auf der ich meine vorige Reise gemacht habe.
Nach der Ausfahrt stand der 23 jährige „Zweite“ auf der Matte, um mir das Schiff außen und innen zu zeigen. Familiarizing auf Englisch. Also den Helm aufgesetzt, der in der Kammer hing und von Achtern zum Bug und auf der anderen Seite wieder zurück.
Einweisung in die Sammelstation, wo sind Rettungsmittel, die Immersion-Suits (Kälteschutzanzüge), Feuerlöscher, Sauerstoffbehälter gegen Rauchvergiftung, etc. Anschließend hatte ich auf einem Formular 16 „Items“ einzeln abzuzeichnen. Auch dass ich vor dem Besitz von Waffen und Drogen ausdrücklich gewarnt wurde.
Das Formularwesen an Bord ist enorm: ALLES wird dokumentiert, wann die erste Leine an Land ging, wann das Schiff fest war, die Arbeitszeiten und Pausen der Stauer und ganz wichtig: Mülltrennung. An Deck stehen Tonnen in allen Farben. Der Koch muss auf 4 verschiedene Mülleimer achten. Und alles wird aufgeschrieben.
Vor der Reise braucht die Reederei Kopie von Pass, Auslands-Krankenversicherung, ärztliches Attest, nicht älter als 4 Wochen, einen unterschriebenen Letter of Indemnity (LoI), das ist eine generelle Enthaftungserklärung bezogen auf alle möglichen und unmöglichen Risiken. Die Reederei schließt dann noch eine Deviationsversicherung zu Lasten des Passagiers ab. Damit wird das Risiko einer Umroutung aus Gründen, die der Passagier zu verantworten hat, abgedeckt. Dass die jemals in Anspruch genommen wurde, habe ich noch nie gehört. Und ich kenne auch niemand, der davon gehört hat. Muss aber sein.
So ein Frachter ist eine schwimmende Baustelle. Da wird ständiig geflext, geschweißt, „gemalen“, überall liegen und stehen Schläuche, Kabel, Farbeimer,Werkzeugkisten rum. Deshalb auch der Helm in der Kammer.
Dann kam die erste Mahlzeit an Bord, so eine Art Schweizer Geschnetzeltes mit Bratkartoffeln und frischem Salat. Sehr lecker! Und so sollte es auf der ganzen Reise bleiben. Wie auf allen meinen Reisen war mir das Abendessen um 17 Uhr viel zu früh.
Nach dem Wachwechsel um 20 Uhr trafen sich immer 3 Leute in der Messe und gingen an den Kühlschrank. Denen habe ich mich angeschlossen. Zeit für ein oder zwei kühle Blonde, plus Wurst- oder Käsebrot. Oder auch beides.
Vom Kapitän hatte ich einen 24er Karton Bier gekauft. Einen 6er Pack je 1,5l Mineralwasser mit oder ohne Gas nach Wahl, spendierte die Reederei. Nobel!
Nach dem Lotsenwechsel in Rüsterbergen bin ich in die Koje. Geschlafen wie ein satter Säugling. An Bord gehe ich immer wesentlich früher zu Bett, als bei mir zu Hause. Die Seeluft macht müde. Und das Treppenhaus auch.
Die Schleusung in Kiel habe ich verpennt. Zum Frühstück waren wir schon querab Rügen. Aber es gab gar keins. Man bediente sich aus dem Kühlschrank. Was war denn nun schon wieder los??? Ausgerechnet am Ostersonntag! Aber dann...
Der Koch wirbelte mit 2 Helfern in der Küche. An Deck wurde der Grill angeworfen. In der O-Messe wurde ein Buffet mit Beilagen, Salaten, Obstplatten mit Weintrauben und frisch aufgeschnittener Ananas, verschiedenen Brotsorten, Büchsen mit rotem Kaviar aufgebaut und ein 2. Tisch für die Crew eingedeckt.
Berge von gegrilltem Fleisch und Fisch dazu.. Auch als Schaschlik auf fast 70 cm lange Spieße gezogen.
Um 12.:30 waren alle, bis auf den Wachabenden auf der Brücke, versammelt und der „Alte“ eröffnetet die Völlerei mit „Dawei, dawei“.
Jetzt bekam die Frage des Chiefs vom Vorabend einen Sinn: Wie feiert man in Deutschland Ostern? Außer mit bunten Eiern zum Frühstück fiel mir da nicht viel ein.
Von Reederei und Eigner trudelten von allen Mitarbeitern unterschriebene Faxe mit „Happy Easter“ ein. So wie bei uns zu Weihnachten. Anscheinend ist für Russen und Ukrainer Ostern wichtig. Auf der Brücke hingen auch ein Kreuz und kleine Ikonen.
Die Esserei zog sich dann über den ganzen Nachmittag bis in den späten Abend hin. Man glaubt gar nicht, wie lecker auch kaltes Grillgut schmeckt, wenn es richtig behandelt wird.
Die stark befahrene Kadetrinne hatten wir hinter uns, die Maschine ist auf 24 Std. wachfreien Betrieb ausgelegt, die Nautiker auf der Brücke wechselten sich kürzer ab, als im normalen Wachturnus. So gegen 19 Uhr verholten sich die Philippinos in Ihre Messe, schmissen die Karaokeanlage an, brachten mit Discostrahlern Stimmung in die Bude und machten einen solchen Radau, dass der Kapitän irgendwann die Tür schloss.
Wir fuhren etwa 63 Stunden bis zum ersten Hafen Raahe. Der war außerplanmäßig eingeschoben und lag nördlich von Kokkola, unserem eigentlichen Ziel, also anschließend wieder ein Stück zurück.
Ich schlafe an Bord immer gut. Auch wenn die Matratze an die Liege beim Orthopäden erinnert. Diese leisen Vibrationen und Bewegungen, das monotone Stampfen der Maschine, wirken auf mich wie der hin und her geschobene Kinderwagen und das Lullaby der Mama auf den Säugling: Tiefschlaf!
Dann fuhren wir ins Eis! RRRRUMMS!!! Das ganze Schiff schüttelte sich wie ein nasser Hund und fuhr so ruckartig, als wenn der Fahrschüler im Auto ständig den Motor abwürgt. Durch den ständigen Anprall an die bis zu 1 m dicken Eisschollen entsteht ein Krach, als wenn ein Möbelstück beim Umzug aus Versehen die Treppe runter fällt. Immer wieder.
Da wird man zwangsläufig wach. Durch einen Spalt im Vorhang schien ein heller Strahl. Und als ich den so kurz vor 6 Uhr morgens ganz zur Seite schob, griff ich schleunigst zur Sonnenbrille: Ein blass-blauer strahlender Himmel, gleißende Sonne etwa 2 Hand breit über der Kimm, und weiß glitzerndes Eis bis zum Horizont. Und wir mitten drin. Ein irrer Anblick!
Ein Eisbrecher kam uns entgegen, der vor uns die Fahrrinne frei gebrochen hatte.
Dann machten wir in Raahe fest. Ich war kurz im Ort. Nichts besonderes. Die übliche Altstadt mit Kirche, Friedhof, Kriegerdenkmal. Und eine auf dem Reißbrett gezogene Neustadt mit schnurgeraden, rechtwinklig kreuzenden Straßen.
Schließlich fuhren wir wieder ein Stück zurück nach Kokkola in die „Garage“. Ein Allwetter-Terminal. Der ganze Laderaum passte rein, das Heck mit den Aufbauten blieb draußen.
In Kokkola bin ich beim Schiff geblieben. Nicht ganz klare Abfahrtszeit. Es kann auch leicht zu Verwechselungen kommen: Bordzeit MESZ, Ortszeit OESZ.
Zur Abfahrt kamen 2 Lotsen auf die Brücke. Ein jüngerer, Kaugummi malmender 1,95m Typ, Körpersprache wie Rocky, der sofort „das Ganze“ hatte, laut telefonierte und in diverse Walkie-Talkies sprach. Das war der Aspirant. Und ein älterer Herr mit sparsamen Bewegungen und noch sparsameren Anweisungen, der ein paar Worte mit dem Kapitän wechselte, das war der Ausbilder. So was beobachte ich immer gern aus einer Position, auf der ich nicht im Weg stehe.
In Oulu, unserem nächsten Hafen, nur einen ausgiebigen Window-Shopping-Bummel gemacht. Aber ein leckeres Eis gegessen. Die Stadt lohnt sich.
Geärgert habe ich mich über den dusseligen Taxifahrer, der es nicht schaffte, die Schranke zum Hafen zu öffnen, während der Taxameter immer munter weiter addierte. Das geht über einen Handy-Code.
Vielleicht war der auch gar nicht dusselig, sondern abgebrüht.
Von Oulu dann nach Kemi. Die Liegezeit zu kurz für einen Stadtbesuch. Die liegt etwa 12 km vom Hafen entfernt.
Interessant war das Anlegemanlöver. Hat fast eine halbe Stunde gedauert. Als erste Leine geht immer die Vorspring an Land. In diesem Fall auf Steuerbord. Dann wurde mit dem Bugstrahler das Eis zwischen Schiff und Kai weg „gespült“. Das Schiff muss zum Löschen und Beladen mit der Bordwand direkt am Kai liegen. Ein Schlepper hielt vorne gegen.
Dann gegen sehr starken Seitenwind – das Schiff hat einen airdraught von fast 40m - das Heck auch mit Schlepperhilfe an den Kai gedrückt. War schon spektakulär.
Von dort ging es dann in etwa 72 Stunden zurück nach Kiel. Mit diversen Stopps im Eis und Warten auf den Eisbrecher.
In Finnland kümmert sich eine eigene Behörde um eisfreie Zufahrten zu den Häfen. Die hat einen Vertrag mit einer speziellen Reederei. Und die wiederum Kooperationen mit russischen und schwedischen Kollegen.
Je nach Gewässer gibt es verschiedene Funkkanäle und spezielle Eis-Waypoints. In den Häfen ist der Hafenbetreiber für den Betrieb im Eis zuständig. Nicht mehr die Behörde.
Interessant: Wird Hilfe im Eis angefordert, ist die kostenlos. Auch Schlepphilfe. Voraussetzung: Das Hilfe suchende Schiff erfüllt die Eisklasse und bestimmte technische Bedingungen und unterwirft sich den Anweisungen des Eisbrecher-Kapitäns. Der hat allein das Sagen und kann u.U. Hilfe ablehnen. Es gibt ein Gesetz, das die Versorgung des Landes auch bei strengsten Eislagen von See her sichern soll (Ice Act).
Irgendwann war das Eis zu Ende und wir bretterten mit 17,5 Knoten der Heimat entgegen.
Weil in Kiel z.Zt. an beiden Schleusenkammern abwechselnd gearbeitet wird, war nur eine in Betrieb. Das verschaffte uns 6 Stunden vor Anker.
Für mich ideal. Sonst wären wir mitten in der Nacht in Brunsbüttel angekommen. So konnte ich schön durchschlafen.
Wir hatten einen neuen Koch an Bord. Ein Fips. Der kochte nicht nur gut, der garnierte und richtete die Speisen auch appetitlich an.
Cordon bleu mit Zürcher Rösti hat man nicht so oft auf Feedern.
Immer frischen Salat und Obst, neben dem üblichen Graubrot, aufgebackene Pariser Stangen und Pumpernickel. Sogar verschiedene Teesorten, als Beutel.
Zum Geburtstag des Chiefs 2 große Schokoladentorten.. Mit Happy Birthday Zuckerguss.
Die Fipse mit ihren Arbeitsverträgen über mindestens 9 Monate, standen immer über Skype oder ähnliche Dienste mit ihren Handys in Verbindung mit ihren Leuten zu Hause. Die wurden mir auch mal vorgestellt und ich denen. Eigenartig, plötzlich mit Leuten auf den Phillppinen über Video zu sprechen. Aber nett und lustig.
Über die jeweiligen Seemannsmissionen haben die Geld an ihre Familien geschickt. Die haben mich auch gedrängt Karaoke zu singen. Aber mir war die Musik völlig fremd.
Umgekehrt hätte das sehr wahrscheinlich auch nicht geklappt, wenn ein Fips z.B. „Tanze mit mir in den Morgen“ singen sollte. In Deutschland eine beliebte Karaoke-Nummer.
Genau zum richtigen Zeitpunkt, als ich in Brunsbüttel wieder von Bord ging, fing es heftig an zu regnen.
Wer nimmt schon einen Regenschirm auf ein Schiff mit!? Den hätte ich auch gar nicht aufspannen können, in beiden Händen Gepäck.
Damit habe ich mich dann wieder durch das enge Drehkreuz gekämpft. Direkt nebenan gibt es auch eine Video überwachte Tür, die aus der Wache geöffnet werden kann. Darf sie aber nicht. Irgendwelche neuen Sicherheitsbedenken.
Nach genau 9 Tagen war ich wieder in meiner Wohnung. Mit leichter Gewichtszunahme.
Bis zum nächsten mal.
Happy sailings
Ralf