Reisebericht MS HENNEKE RAMBOW 29.03. - 17.04.2018, 8.601 km
HAMBURG - ROTTERDAM - SANTA CRUZ - LAS PALMAS - AGADIR - CASABLANCA - SETUBAL - TILBURY - ROTTERDAM – HAMBURG (21 Tage)
Fazit
An meine zweite Frachtschiffreise hatte ich natürlich schon konkretere Erwartungen und Vorstellungen. Die wurden auch alle erfüllt oder sogar übererfüllt: es war, kurz zusammengefasst, wieder eine wunderbare Reise und ein großartiges Erlebnis!
Ich habe wieder ganz viel über Schiffe (Technik), die Schifffahrt und das Leben der Menschen an Bord gelernt. Ich bekam aber auch alles geboten: spiegelglatte See, ordentlich Dünung mit Schrägen bis 30°, eine richtige Sturmnacht, in der niemand ein Auge zugetan hat, zum Schluss noch den legendären London Fog: ein Nebel, in dem man nicht mal die Leute erkennen konnte, die am Kai die Leinen los machten!
Nachdem ich bei der ersten Tour Blut geleckt habe, bin ich nun endgültig verfallen.
Die Reise
Ich habe mich wieder der Agentur Pfeiffer mit der vortrefflichen Frau Falkenberg anvertraut und kann die Beratung und Betreuung wiederum wärmstens empfehlen.
Angefangen bei der individuellen Beratung zur Auswahl der Route und des Schiffes bis hin zum ständigen persönlichen Kontakt in der letzten „heißen“ Phase (mehrfach tägliche Aktualisierung von Abfahrtsort und –daten) ist das Rundum-Sorglos-Paket von Pfeiffer einfach großartig. Riesenlob und großen Dank.
Dafür, dass die Route der wohlüberlegt ausgewählten Reise dann unterwegs noch mehrfach abgeändert wurde, kann die Agentur nichts – das weiß der/die Reisende selbst nach kurzer Frachtschiff-Erfahrung!
Das Schiff
Die HENNEKE RAMBOW ist ein sehr schönes, vor allem sorgfältig gepflegtes Schiff.
Alles, auch die Treppen und die Gemeinschaftsräume, sind unglaublich sauber, die Linoleumböden auf Hochglanz gebohnert. Das setzt sich auch im Laufe der Fahrt fort, nach schlechtem Wetter werden umgehend Decks und Fensterscheiben von Spritzern und Salz befreit, innen die Fußböden gewienert.
Mit meiner Kammer bin ich zufrieden, zwar viel kleiner als auf der letzten Reise (FREDERIK), aber nett und praktisch eingerichtet. Der TV Empfang ist defekt (egal), DVD-Player funktioniert.
Es soll sich allerdings herausstellen, dass ich in den folgenden erlebnisreichen Wochen kaum Zeit und Lust habe, die mitgebrachten Scheiben auch anzuschauen...
Essen wird in der Messe serviert vom Cookie Tony und ist anhaltend ausgezeichnet: überraschend abwechslungsreich, nett angerichtet und überaus schmackhaft zubereitet.
Mein fester Platz ist mit einem weiteren Mitpassagier am Tisch von Cpt Drewes und dem Chief Sergej aus Archangelsk. Sozusagen Captain's Dinner. Das war ein Glück: Am zweiten Tisch sitzen die restlichen Offiziere und Ingenieure. Da wird kein Wort gesprochen (alles Russen).
Die Crew isst in der Mannschaftsmesse direkt daneben. Da geht es natürlich viel lustiger zu.
Mitwirkende
KAPITÄN (Master): Ingo Drewes, dem Publikum bekannt durch die NDR-Doku über die HENNEKE RAMBOW "Fernfahrer zur See". Nett, kommunikativ und entspannt. Unkt gern über dräuendes Unheil, das dann nicht eintrifft. Lässt sich auch durch meinen nicht enden wollenden Informationsbedarf (schließlich mache ich eine Bildungsreise!) nicht aus der Ruhe bringen.
ERSTER INGENIEUR (Chief): Sergej, Russland. Sehr freundlich und kommunikativ, auch er beantwortet gerne meine vielen Fragen. Spricht nur Englisch, seine Reaktionen lassen aber erkennen, dass er Deutsch ganz gut versteht
ERSTER OFFIZIER: Oleg, Russland. Schon viele Jahre an Bord. Umgangssprache Englisch. Nicht unfreundlich, spricht aber (auch mit seinen Kollegen) überhaupt nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt
ZWEITER OFFIZIER (das heißt heute NBW - Nautische Bordwache): Jonas, Deutschland. Netter junger Mann, der auch immer bereitwillig erklärt.
ZWEITER INGENIEUR: Viktor, Russland. Spricht noch viel weniger als Oleg, man könnte sagen gar nicht.
COOKIE: Tony. Antonio Resurrección, Philippinen. Spricht und versteht nur begrenzt Englisch, kocht aber ganz hervorragend. Merkt sich alle Vorlieben und gibt sich Mühe Wünsche von den Augen abzulesen. (Er weiß z.B. ab dem dritten Tag, dass ich zum Frühstück weder Aufschnitt noch Gebratenes esse, dafür stehen Butter und meine Lieblingsmarmelade an meinem Platz.)
BOOTSMANN (A.B. - Able Bodied Seaman): Noël, Philippinen. Auch schon lange auf diesem Schiff. Spricht ganz gut Englisch, immer freundlich und hilfsbereit
CREW (O.S. - Ordinary Seamen): weitere 5 Mann (Philippinen), wenig Kontakt. Darunter der WIPER, offenbar der unterste Rang an Bord
Nein, nicht der unterste, darunter kommen noch wir:
PASSAGIERE: außer mir noch ein Mitpassagier. Ein freundlicher, zurückhaltender und wenig gesprächiger Mann aus NRW, ebenfalls zweite Frachtschiffreise. Wir treffen uns eigentlich nur zu den Mahlzeiten und ab und zu auf der Brücke
AZUBI (Cadet): Andreas. Hätte ich fast vergessen. Der Ärmste muss die Jobs machen, die niemand will, z.B. die tagelange Gangway-Wache im Hafen
BORDSPRACHE ist Englisch. Cpt, Zweiter und Passagiere unterhalten sich natürlich in ihrer Muttersprache Deutsch.
Der Gute-Nacht-Gruß auf der Brücke lautet GOOD WATCH. In der Messe sagt man MAHLZEIT, auch die schweigsamen russischen Kollegen. Und zwar wenn man kommt und wenn man geht! Wie in jedem anständigen deutschen Büro, ha ha.
Die App LD-log
Auf meiner ersten Frachtschiffreise konnte ich zwar die jeweiligen Position des Schiffes mit einer Navigations-App nachvollziehen, diese aber nicht aufzeichnen und mir deshalb leider auch nicht merken.
Mit Unterstützung meines Sohnes (Danke dafür!) habe ich die App LD-log gefunden, die es ermöglicht per GPS Routen aufzuzeichnen. Ein wahres Wunderwerk. Man kann in einem einzigen Dokument die Daten der Route (Koordinaten, Kompasskurs, Entfernungen, Geschwindigkeit u.v.m.) aufzeichnen. Dazu die Möglichkeit an den Wegpunkten Text sofort oder später einzugeben sowie Fotos und Screenshots (von den jeweiligen Karten) aufzunehmen oder später hinzuzufügen. Wer weiß später schon noch, wo das Meer so blau war ...!
Mit dem zum Schluss erzeugten trip-report habe ich eine ausgezeichnete Rohfassung für meinen Bericht zur Verfügung. Das Ganze funktioniert wunderbarer (und sinnvoller) Weise sogar offline!
In die individuellen Einstellungsmöglichkeiten habe ich mich vor der Reise ein bisschen reingefuchst. Dann ist die Bedienung selbst für nicht so IT-affine Menschen wie mich ein Kinderspiel.
An Bord mache ich damit schwer Eindruck. Vor allem die Seeleute staunen, dass eine App auf einem ein simplen Handy bzw Tablet so viele Daten liefert, einschließlich Seezeichen und Traffic Lines.
Cpt Drewes kann zum Glück darüber lachen, dass seine Passagierin die Schiffsdaten kontrolliert und kommentiert. („Wir sind 1761 nm gefahren“ – „Moment, das muss ich grade mal umrechnen – ich habe 3275 km – stimmt!“ oder „Warum haben wir heute nacht gegen drei so einen Zacken in den Kurs gefahren???“)
Hamburg – Rotterdam
29.03.– 31.03., 619 km
DONNERSTAG, 29. März
Nach den üblichen wechselnden Informationen über Abfahrtszeit und -ort heißt es am Mittwochabend endgültig: Zustieg am Donnerstag zwischen 10:00 und 13:00 am Burchardkai!
Am Donnerstagmorgen zeigt sich Hamburg tief verschneit. Dank meiner Freunde, die mich netterweise mit dem Pkw zum Terminal gefahren haben, bin ich gut und bequem am Kai gelandet.
Ein Crewmitglied trägt mein Gepäck die Außentreppe rauf, ein freundlicher blonder Mann öffnet die Tür zum D-Deck und zeigt mir meine Kammer, stellt sich kurz vor "Ich bin Kapitän Drewes", und hat dann natürlich Wichtigeres zu tun. Also erstmal ankommen und einrichten. Zu "wichtiger" zählt immerhin, dass er um 12:00 an meine Tür klopft und mitteilt, dass es jetzt in der Messe Mittagessen gibt.
Kurz nach Mittag geht es vom Burchard-Kai CTB quer durch Hamburg zum Südwest-Terminal SWT. Genau gegenüber der Elbphilharmonie: Tolles Panorama!
Die Beladung am Südwest-Terminal ist gegen 21:00 beendet. Auch ich habe mich etwas schüchtern (nach meinen Erfahrungen auf der FREDERIK, wo das nur ausnahmsweise und kurz erlaubt war) auf der Brücke eingefunden: hier ist man immer willkommen! Dass man möglichst nicht im Weg steht oder sonstwie stört, wenn konzentriert gearbeitet wird, versteht sich von selbst.
Schon die Ausfahrt mit Blick auf das erleuchtete Panorama mit Elbphilharmonie und Hamburger Dom ist ein richtiges Erlebnis. Ebenso die Fahrt über die nächtliche Elbe, die vielen verschiedenen beleuchteten Schiffe, wunderschön.
Nachdem der Lotse das Schiff verlassen hat (völlig überflüssig der Mann, meint Cpt Drewes), darf ich auf seinem Sessel Platz nehmen. Die vielen Instrumente sagen mir vorläufig nichts... Ich bin etwas irritiert, als auch der Kapitän seinen Platz verlässt um Kaffee zu kochen. Erwartet er etwa, dass ich jetzt das Steuer übernehme? Nein - natürlich ist längst der Autopilot eingeschaltet.
Sehr dunkel inzwischen, nur noch wenige Schiffe zu sehen und am Ufer auch nicht mehr viel. Ich glaube ich geh mal zu Bett. Good Watch!
FREITAG, 30. März
Bisschen verschlafen, „schon“ um 08:15 bin ich im Frühstücksraum: alles leer. Allerdings sind die Plätze noch eingedeckt, bis auf den des Mitpassagiers. Cookie Tony erklärt, die schlafen alle noch, weil sie in der letzten Nacht bis 04:00 gearbeitet haben.
Prima Frühstück nach meinem Geschmack: Frische Brötchen, Butter, Marmelade, Kaffee ohne Ende. Es gibt auch Wurst und Käse, Eggs&Bacon habe ich abbestellt.
Das Mittagessen lässt gleichfalls keine Wünsche offen, frisch und lecker gekocht. Es wird vom Cookie am Tisch serviert.
Auf meine vorsichtige Nachfrage beim Mittagessen, wann wir denn in das Schiff eingewiesen werden bzw. wo man sich ohne Einweisung bewegen darf, meint Cpt Drewes, natürlich dürften wir überall hin. Nur immer gut festhalten. Schon klar. Der scheint das und alles andere sehr locker zu sehen. Na schön. Dann gehe ich mich mal umsehen.
Nach dem Abendessen Rundgang mit dem netten Zweiten Jonas über das ganze Schiff. Einweisung in die Sicherheitssysteme incl. Einstieg in die Rettungskapsel. Da möchte man ja nun echt nicht drin stecken, eng, kein Blick nach draußen, kein Horizont. Wenn es da drin dem ersten schlecht wird, gibt es aber kein Halten mehr!
Besonders beeindrucken mich im Vorschiff (Bug) die Leinen, an denen das Schiff am Kai festgemacht wird, ca. 10 cm dick. Trotzdem kann es vorkommen, dass eine von denen reißt. Da kann man sich vorstellen, warum Passagiere sich bei diesen Manövern nicht in der Nähe aufhalten dürfen, viel zu gefährlich. – Die roten Glieder der Ankerkette kennzeichnen jeweils den Abstand von 1 Schäkel (= 25m), daran kann man abzählen, wie viel Ankerkette schon ausgelassen wurde.
Die Ankerwinde wird direkt im Vorschiff bedient, der Aufenthalt dort ist dann für Passagiere ebenfalls verboten. Es staubt wie Sau (die Ketten sind total rostig), und es kann einem wohl auch mal das eine oder andere Teil um die Ohren fliegen. Aber von der Brücke aus habe ich das Ankern miterlebt: der Bootsmann (unten) meldet über Funk „one ..., two ..., tree (sic!)...“, der Cpt bestätigt "give one more" bis es genug ist. Auf der Reede von Casablanca waren es 6 Schäkel!
Gegen 19:00 wird auf der Reede vor Rotterdam geankert. Hier liegen zig Schiffe, die auf ihren Liegeplatz im Hafen warten. Von hier aus soll es morgen früh auf den Liegeplatz gehen. Um 07:00 ist der Lotse bestellt.
SAMSTAG, 31. März
Am Morgen werde ich von markerschütterndem, explosionsähnlichem Getöse aufgeweckt. Es schlägt noch ein paar Mal laut, dann wird es rhythmischer, geht schließlich in "normale" Motorlautstärke über. Der Motor wird immer (mindestens) 30 min vor Abfahrt gestartet. Prima, so kann ich die auf keinen Fall verschlafen!
Um 07:45 kommt der Lotse per Bötchen an Bord. Die Einfahrt in den Hafen, über 40 km, dauert mehr als 2h.
Der Lotse ist sehr offen und umgänglich, hat auch ein paar Tipps für den Landgang parat. Er zeigt mir alles auf meiner Karte und schreibt mir (sehr wichtig!) die Nr. des Liegeplatzes (Berth 2740) auf, damit ich den auf jeden Fall, ggf auch per Taxi, wieder finde. Sehr freundlich, bedankt!
Kurz nach 9 wird angelegt. Unerwarteter Glücksfall: ein stadtnaher Liegeplatz im Prinses Beatrixhaven. Von hier aus kann man zu Fuß in die Stadt!
Schon weil ich noch etwas einkaufen möchte, wir sind nämlich ab heute Nacht für 4 1/2 Tage auf See Richtung Santa Cruz de Tenerife. Tilbury entfällt ...
Da man in diesem Terminal zu Fuß (natürlich mit der roten Warnweste, die in jeder Kammer hängt) zum Gate laufen darf, habe ich auch mal Gelegenheit die HENNEKE RAMBOW in voller Schönheit aufzunehmen!
Schöner Tag in Rotterdam! Blauer Himmel, Sonne, frische Luft, wohl recht kalt.
Ich folge der gut gemeinten Empfehlung des Lotsen: zu Fuß in den alten Stadtteil Heijplaat mit umgenutzten, neu ausgebauten Werftgebäuden: Kongresszentrum, Academie van Bauwkunst etc. Die schöne alte Cantine, heute Café: leider samstags geschlossen. Dann gibt es die Fähre rüber nach Schiedam, wo ich Albert Heijn, Cafés etc. ausgemacht hatte: fährt nicht am Wochenende!
Da sich Heijplaat (jedenfalls samstags) als Nullnummer ausgewiesen hat, bin ich mit einer anderen Fähre Richtung Innenstadt gefahren. In Sint Jobshaven fand ich alles wie gewünscht: Uitsmijter im Café Stroom, daneben Albert Heijn, alles gut.
Auf dem Rückweg taten mir dann schon die Füße weh: allein 15 min vom Schiff bis zum Gate, dann 45 min bis zur Fähre, das alles zurück ... Da pampt mich am Gate der Security-Mann an: als Fußgänger darf man nur mit Warnweste (jawohl!) und Helm(???) das Terminal betreten! (Auf dem Hinweg war ihm das nicht aufgefallen ...) Und nun? Nach 5 min. strengen Blicken fährt mich einer der Herren mit dem Security-Car bis an die Gangway. Man muss auch mal Glück haben. Meine Füße waren so dankbar!
Rotterdam – Santa Cruz der Tenerife
01.04. - 05.05., 3275 km
SONNTAG, 1. April
01:45: Das Anwerfen der Maschine weckt mich wie immer zuverlässig. Hartes Schlagen, das sich nach einer Weile legt. Nun bin ich doch noch SEHR müde – und nach kurzer Zeit wieder eingenickt. Um 02:10 stelle ich fest, dass wir fahren. Log läuft seit 02:00: Terminierung hat geklappt!
Die Uhren in Tablet und Handy haben sich umgestellt auf englische Zeit (GMT +0). Das wechselt jetzt immer wieder hin und her, je nachdem, ob sich das Gerät ins englische Mobilfunknetz einloggt oder ins französische. Anschlag an der Messe: ab heute Abend wird die Schiffszeit eine Stunde zurück gestellt. Weil wir weit Richtung Westen fahren, müssten die Jungs irgendwann im Dunkeln ihren Dienst antreten. Und dass alle an Bord die gleiche Uhrzeit haben, ist auch unbedingt sinnvoll!
Vormittag auf der Brücke. Da ist mächtig was los, weil hier im Kanal viel und dichter Verkehr ist und dazu noch Fähren kreuzen. Cpt Drewes kommentiert den lebhaften, z.T. wohl hirnlosen Funkverkehr. Das scheint auch universal zu sein!
Auf der Karte von LD-Log kann ich auch die Seezeichen und Traffic Lines verfolgen. Das imponiert nicht nur mir, sondern allen.
Auf See gilt Rechts vor Links. Die armen Engländer! - Derjenige, der Vorfahrt hat, ist gehalten, Kurs und Geschwindigkeit beizubehalten, damit das andere Schiff sich darauf verlassen kann. Das macht Sinn.
Überholt wird auf der Backbord-Seite. Der Überholer ist dafür verantwortlich seinen Kurs ggf so zu ändern, dass der gehörige Abstand eingehalten wird. Was nicht heißt, dass nicht manche versuchen, das überholte Schiff per Funk zur Kursänderung aufzufordern - nicht mit Cpt Drewes, natürlich!
Nach dem Dunst am Morgen hat das Wetter aufgeklart, die Sichten bessern sich. An Steuerbord kann man die Kreidefelsen von Dover ausmachen. Das ist jetzt das letzte Mal dass wir Land sehen, bevor wir in 4,5 Tagen Teneriffa erreichen. Freut mich!
Chief Sergej bietet uns nach dem Abendessen eine Führung im Maschinenraum an. Seinen Hinweis "better today, tomorrow is too much rolling" verstehe ich erst viel später...
Trotz des Höllenlärms der Maschine gelingt es Sergej viel zu erklären, z.T. weil jedes Teil mit einem sauberen Metalltäfelchen beschriftet ist, z.T. mit Zeichensprache:
Die Maschine hat 9 Zylinder, insg. 8400 kW (11.420 PS). Sie läuft immer mit 500 U/min, Kraft bzw. Geschwindigkeit werden nur durch die Stellung der Schraube reguliert.
Verbrauch: 1500 l Diesel pro Stunde, das sind bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h etwa 5000l auf 100 km. Die wissbegierigen Passagiere haben gleich mal umgerechnet: wenn, wie jetzt, ca 700 Container an Bord sind, macht das pro Container ca 7,1l /100 km, bei Vollbeladung mit über 900 Containern nur noch ca 5,5l/100 km. Nicht schlecht, immerhin wiegt ein Container bis zu 35t!
Außerhalb der EU wird allerdings nicht Diesel (gas-oil) gefahren, sondern Schweröl, das regelmäßig in Russland getankt wird. Die Umstellung merkt man sofort am Geruch: ich empfand den Dieselgeruch (leicht nach Frittenbude) nicht sehr angenehm, hatte immer das Gefühl von Fett in der Luft, was objektiv nicht sein kann.
Am Abend pladdert Regen an die Fensterscheiben, das Schiff rollt spürbar. Wellen mit dicken Schaumkronen, Cpt schätzt Windstärke 5-6. Wir werden in einen ordentlichen Sturm reinfahren.
MONTAG, 2. April
03:00: Ich werde wach, weil die Bierflaschen im Kühlschrank geräuschvoll hin und her rollen und schlagen. Anfängerfehler! - Ab sofort werden so viele Flaschen dicht an dicht nebeneinander gelegt, dass sie sich nicht mehr bewegen können.
Wir überqueren den Golf von Biscaya. Jetzt fahren wir in richtiges Dreckswetter rein. Den ganzen Tag über schwere Wellen, der Bug hebt und senkt sich um mehrere Meter, schlägt zum Teil beim Runtergehen so heftig auf, dass die Gischt meterhoch spritzt.
Das und das passende Gefühl dazu ist auf Fotos leider nicht nachvollziehbar darzustellen...
So langsam muss ich mich auf diese Schiffsbewegungen einstellen: Alles im Sitzen/Liegen ist okay. Alles andere überlegt man sich schon zweimal. Ich kann keine paar Sekunden gehen oder stehen ohne umzufallen. Festhalten mit mindestens einer Hand ist die Devise.
Hände waschen, abtrocknen: ganz schlecht. Mit dem Handy vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer: ziemlich schlecht, weil man nur eine Hand freihat und kein fester Griff da ist, nur die Stuhllehne.
Ein Foto/Video von dem steigenden u. fallenden Bug machen: nur, wenn man das Gerät mit einer Hand bedienen kann (könnte!). Stunde um Stunde, womöglich Tag um Tag, das ist gewöhnungsbedürftig... Dabei ist das jetzt laut Cpt KEIN Sturm, sondern die normale Dünung im Atlantik! Der Sturm soll erst morgen kommen.
Ich gespannt auf alles, was uns erwartet! – Noch 250 km bis Finisterre.
DIENSTAG, 3. April
Zu der Auf- und Abbewegung des Schiffes ist nun ein heftiges seitliches Schaukeln (Rollen) gekommen. Auf der Brücke ist das am wenigsten unangenehm, weil man die Bewegungen sieht und die (Rück-)Be-wegungen vorhersehen kann. Aber auch hier muss man sich bei jedem Schritt gut festhalten.
Horror ist das Treppensteigen: in dem geschlossenen Treppenhaus wird man mal zur einen, mal zur anderen Seite gekippt. Das Hochsteigen ist mal richtig anstrengend, dann wieder schwebt man plötzlich mit Leichtigkeit ein paar Stufen nach oben – halt je nachdem, ob das Schiff vorn steigt oder fällt, was man aber nicht sehen kann. Zum Festhalten mit zwei Händen gibt es das Geländer an beiden Seiten. Wieder mal bewährt sich ein Baumwollbeutel an der Schulter, in dem ich alles verstaut habe, was ich bei mir tragen will.
Derweil unkt Cpt Drewes weiterhin vom angekündigten Megasturm. Der soll angeblich Dienstag (also heute) noch kommen. "Wenn die Wellen 12-15 m hoch sind, dann merkst du erst, wie klein dein Schiff ist!"
Heute lerne ich die Funktion des Neigungsmessers kennen, der die Krängung des Schiffes anzeigt. Der bewegliche Zeiger gibt die aktuelle Neigung an, zwei kleine Metallzeiger markieren die jeweils weitesten Ausschläge. Bei 10° hält man sich besser schon fest, zumal die Neigung ja nicht konstant ist, sondern das Schiff hin- und herschwankt und auch das nicht immer gleichmäßig. Heute hatten wir eine Schräglage bis 30°! Fotos/Videos mache ich vom Lotsensitz aus, weil ich hier beide Hände frei habe. Glaube ich. Das Schiff neigt sich aber so schräg, dass ich seitlich vom Sitz rutsche. Fast – zum Glück war die Seitenlehne hochgeklappt!
Am Abend geht es dann richtig ab. Alles, was in der Kammer nicht fest verkantet ist, geht munter auf die Reise.
Der Schreibtischstuhl rutscht auf dem Teppich bis an die gegenüberliegende Wand und zurück – während ich darauf sitze, wohlgemerkt. Auch der Karton mit den Bierflaschen bewegt sich scheppernd durch die ganze Wohnkammer. Für den finde ich zum Glück einen Platz in einem engen Unterschrank, wo er nicht viel hin- und her rutschen kann. Meine Bücher aus dem Bücherfach fliegen trotz "Reling" durch die Gegend; alles, was auf dem Schreibtisch lag, rauscht kommentarlos ab. Bei 30° Schräge bleibt einfach nichts liegen, da helfen auch die Rutschmatten nichts mehr.
Also alles, wirklich alles in Tasche, Koffer und Schubladen verstauen, wo es dann vor sich hin scheppern kann. Gute Nacht!
Am nächsten Morgen lerne ich, wie der gewitzte Seemann seinen Stuhl mit einer stabilen Stahlkette am Boden befestigt! - Auch wenn man nicht draufsitzt, ist das sinnvoll, damit das Teil nicht die ganze Nacht in der Stube unterwegs ist.
MITTWOCH, 4. April
Die ganze Nacht lang rollt das Schiff. Im Liegen sucht der Körper dauernd das Gleichgewicht. Als ich morgens aufstehe und sofort nach vorn und hinten umfalle, merke ich erst richtig, wie stark die Schräglage ist. Der Blick nach draußen zeigt aber ruhige See. Hey, wenn das das gute Wetter ist ...
Ja, es ist schönes Seewetter: Sonne, wenig Wind, 16°. Das Meer wirkt friedlich. Das heißt aber nicht, dass das Rollen aufhört, sondern dass die Dünung hier sehr lang ist. Das Schiff neigt sich immer noch in beachtliche Schräge: gut festhalten, immer!
Das ist die normale Dünung im Atlantik, wie der Captain sagt - ist eben keine Ostsee! Damit habe ich nicht gerechnet. Der Mitpassagier auch nicht. Der konnte bei dem Rollen nicht mal schlafen, weil er das Gefühl hatte aus dem Bett zu fallen. Hat dann mit Hilfe des Stuhls sein Bett verbreitert und quer geschlafen!
Wir haben auch in keinem der zahlreichen Reiseberichte gelesen, dass man sich selbst bei gutem Wetter lückenlos festhalten muss um nicht umzufallen. Sind sicher alles harte (See-)Männer, die fallen nicht um. Oder man gewöhnt sich dran ...
Der starke Wind in der Nacht hat überall eine dicke Schicht von Salz hinterlassen. Natürlich hat der Wiper alles sofort wieder mit dem Schlauch blitzblank abgeduscht. Fenster, Boden und Geländer auf dem Poopdeck sind wieder sauber.
Am Nachmittag: Wale gesehen!!! Etwa 10 Stück - vorausgesetzt, ich habe keinen doppelt gezählt. - Man sieht mal näher, mal weiter entfernt, die glatte Haut im Wasser, meist kommt danach dann die Atemfontäne. Für Fotos eignet sich das überhaupt nicht, leider gucken die Wale nicht oben aus dem Wasser raus. Hätte ich mir eigentlich denken können. Trotzdem ist es ein bewegendes Erlebnis, die Tiere hier in ihrem natürlichen Umfeld, ganz "normal" sozusagen, beobachten zu können.
Ein wunderschöner Abend auf der Brücke bei herrlichem Licht. Das Meer scheint glatt und ruhig (ha ha: Neigung regelmäßig 10°). Die Wale sind wohl schon schlafen gegangen.
Sonnenuntergang 20:15.
DONNERSTAG, 5. April
Kurz vor dem Hafen von Santa Cruz verkündet der Zweite das Ende der Seereise und freut sich: 1752 Seemeilen, sehr schön, nur 1 nm mehr als vorausberechnet!
Mein LD-Log hat 3275 km ermittelt. Ich habe die Entfernungsmessung auf km eingestellt, weil ich mir das besser vorstellen kann, und muss jetzt erstmal umrechnen: 1761 nm. Da liege ich ja nah dran! Captain und Zweiter sind verblüfft ... coole App!
Die Daten werden vom Zweiten ordentlich und handschriftlich in das Deck Log Book eingetragen. Erstaunlich im IT-Zeitalter. Würde ich aber auch so machen, es geht doch nix über Papier!
Natürlich ist unser Liegeplatz nicht an der schicken Promenade von Santa Cruz, sondern in diesem rostigen Hafen! Dafür kommt man aber problemlos an Land, und die Stadt ist auch nicht allzu weit entfernt. Die HENNEKE soll um 20:00 weiterfahren, also sollte ich gegen 18:00 wieder an Bord sein. Das passt doch gut für einen kleinen Stadtausflug.
Der Landgang stellt sich tatsächlich als einfach heraus. Vom Schiff aus kann man das Gate des Terminals sehen. Ich erreiche es zu Fuß, vorschriftsmäßig mit roter Warnweste.
Der liebenswürdige Securitymann hilft mir ein Taxi zu bestellen. Er schreibt mir noch für den Rückweg den Namen des Hafens auf, TCT terminar de contenederos, sowie seine Telefonnummer, die Taxifahrer wären manchmal zu blöd und könnten ihn ggf. anrufen. Das ist ja super gelaufen, sehr nett, muchas gracias!
Als Zielpunkt in der Stadt habe ich die Plaza España ausgemacht, in Sichtweite des Hafens. Hier liegt die Fähre nach Las Palmas, hier legen auch die Kreuzfahrtschiffe an. Hübsch ist der riesige Teich in der Mitte des Platzes, in dem Kinder planschen, ringsum sitzen Erwachsene auf Bänken.
Im Übrigen ist in Sta. Cruz der Hund begraben. Von dem Platz aus führen mehrere Straßen in die Stadt, Fußgängerzonen mit vielen mäßig besetzten Straßencafés, wenige gelangweilte Touris auf Tagesausflug beim Shoppen. "Normale" Geschäfte erkennt man an runtergelassenen Rolläden – klar, bis 17:00 ist Siesta! Das ist alles wenig animierend. Vermutlich ist hier alles geöffnet und belebt, wenn ein Kreuzfahrtschiff seine 3-4000 Fahrgäste abkippt, das ist heute (zum Glück) nicht der Fall.
Was sie immer gut können in diesen heißen südlichen Städten, sind Parks. Ganz schnell finde ich zur Plaza del Principe de Asturias, eine nette Anlage. Spielplätze, viele Kleinkinder mit ihren Nannies, ein kleiner Brunnen und Rentner, die auf Bänken dösen. Dabei auch ein hübsches Café in dem alten schmiedeeisernen Kiosko del Principe. Super.
Hier finde ich einen schönen Schattenplatz, Mobilnetz gibts zum Eurotarif, da verbringe ich die nächsten Stunden gemütlich mit Emails, Whatsapp schreiben/lesen. Plötzlich geht mein Handy: der Cpt gewährt Ausgang bis 20:00 Uhr! Nett, dass er an mich gedacht hat, jetzt habe ich überhaupt keine Eile mehr.
Der weitere Rundgang durch die Stadt bietet erwartungsgemäß keine Überraschungen. Dass das Museo Municipal de Bellas Artes direkt am Platz nicht nur ein Sammelsurium von spanischer und kanarischer Kunst beinhaltet, sondern auch eine alte Bibliothek mit tausenden von Bänden, obendrein bei freiem Eintritt!, lese ich leider erst später im Reiseführer.
So trödele ich noch ein bisschen herum, ein Cortado im Café, Abendimbiss im Kiosko del Principe, paar Einkäufe bei SPAR, Taxi zurück. Ein schöner Tag!
Um 21:20 legt die HENNEKE vom Kai in Santa Cruz ab. Da das Anwerfen der Maschine nicht zu überhören ist, kann ich schnell nach oben zur Brücke flitzen um das Ablegen zu beobachten. Das ist immer wieder ein Erlebnis, wie alle Beteiligten koordiniert zusammenarbeiten und das große Schiff sich dann, als wäre es nichts Besonderes, ruhig vom Kai löst.
Herrliche Ausfahrt aus dem illuminierten Hafen.
Santa Cruz de Tenerife – Las Palmas de Gran Canaria
05.04.– 06.04., 98 km
FREITAG, 6. April
Um 01:20 bin ich vom "Bremsen", dem Verstellen der Schraube, was erheblichen Lärm macht, wach geworden und kann so von der Kammer aus (zum Aufstehen und Anziehen bin ich zu faul) die Einfahrt und das Anlegemanöver im Hafen von Las Palmas beobachten.
Las Palmas de Gran Canaria: Das riesige Häusermeer lockt nicht gerade zum Besuch. Da es bereits mittags wieder losgehen soll, kommt auch ein richtiger Ausflug, um die zweifellos vorhandenen Sehenswürdigkeiten zu entdecken, nicht in Betracht.
Cpt und Chief wollen einen tollen Supermarkt, MERCADONA, besuchen. Ich darf mich ihnen anschließen (Ich habe gewitzt kalkuliert, dass das Schiff ohne die nicht ablegen wird. Ohne mich schon.) 40 min schleppen wir uns zu Fuß bergauf in der kanarischen Sonne, mit LSF 50 plus Sonnenkappe, versteht sich. Der Supermarkt ist aber wirklich eine Reise wert. Nach einem ausgezeichneten Café con leche gönnen wir uns für die Rückfahrt ein Taxi, weil die Herren unter ihren Einkäufen fast zusammenbrechen.
Las Palmas – Agadir
06.04.– 08.04., 618 km
Um 13:00 Ausfahrt aus dem Hafen, ETA in Agadir morgen (Sa) Mittag.
Sodann kommt die Info aus Agadir, dass erst So Nachmittag ein Platz im Hafen frei ist. So geht das hier, erschüttert aber keinen. Da werden wir uns einen schönen Nachmittag auf Reede machen.
Cooler Weise fährt unser Schiff zwischen Lanzarote und Fuerteventura hindurch.
Beide Inseln felsig, vegetationslos, mit Touri-Urbanisationen. So zum Verwechseln ähnlich, dass ich per Whatsapp aus Versehen das Foto von Fuerteventura zweimal versende. Was eine Empfängerin sofort bemerkt und beanstandet, so dass ich den Fehler Gott sei Dank sofort berichtigen kann ...
Man verliert ja völlig den Überblick über das ganze Meer hier!
Eine große Gruppe von Delfinen kommt am Abend ganz nah ans Schiff, um sich in der Bugwelle auszutoben. Einfach unglaublich schöne, elegante Tiere, und es scheint ihnen so richtig Spaß zu machen! Angeblich kommen die auf der Reede vor Agadir gern zu Besuch! Cpt Drewes hat dort tolle Videos aufgenommen, die er mir per Bluetooth schickt, das ist ein fabelhafter Service hier.
SAMSTAG, 7. April
Agadir. Heute Morgen sind wir auf der Reede vor Anker gegangen.
Hier bleiben wir liegen, bis im Hafen ein Liegeplatz frei wird, z.Zt heißt es morgen (So) Nachmittag. Aber wer weiß.
Dass das Schiff festliegt, heißt übrigens mitnichten, dass es stillhält. Nachts wird die Dünung so stark, dass ich im Bett von der einen zur anderen Seite gekippt werde und in der Wohnkammer wieder alles flott durch die Stube rutscht. Hatte ich natürlich nicht dran gedacht, alles festzuklemmen.
Das Wetter sieht toll aus, aber so richtig kann man damit nichts anfangen. Der stramme Wind von Nord ist frisch, sagen wir ruhig: eisig, dafür brennt die Sonne ohne Ende. Die ideale Kombination für Verbrennungen 2. Grades.
SONNTAG, 8. April
Schon um kurz nach 06:00 wird die Maschine angeworfen und bald drauf geht's los. Hat sich also doch eher ein Platz im Hafen gefunden.
Der kölsche Grundsatz ET KÜTT WIE ET KÜTT muss seinen Ursprung in der Frachtschifffahrt haben. (Gehen wir mal davon aus, dass ET HÄTT NOCH IMMER JOT JEJANGE auch gilt!)
Zum Lunch gibt es Rindersteak m. Pilzen, Grilltomate, P.frites. Das scheint das Standard-Sonntagsessen zu sein. Mir fällt auf, dass ich das schon zum zweiten Mal bekomme: ich bin schon über eine Woche an Bord!
Sonntag im Hafen von Agadir. Von uns ist hier keiner an Land gegangen. Eine umständliche Immigration-Prozedur, lohnt sich nicht um in dieser belanglosen Touri-Stadt in der Sonne rumzulaufen. Strand sowieso nicht, ist außerdem viel zu weit. Von der Crew konnte das auch keiner empfehlen.
Dafür machen hier die seltsamsten Händler Geschäfte. Die kamen direkt an Bord und boten Obst, Telefonkarten (wichtig für die Jungs billig zu telefonieren) und "Sonstiges" an, was man lieber nicht wissen will. Abenteuerliche Gestalten. Der philippinische Bootsmann hat ein Smartphone gekauft. Wenn das mal gut geht.
Im Übrigen herrscht die Vorschrift ALLE Türen ständig abgeschlossen zu halten, damit wir nicht mit Überzahl wieder abfahren. Das gibt nichts als Ärger. Es sind eigens vier Wachleute engagiert um derlei zu verhindern. Wobei das Security-Personal des Vertrauens optisch auch nicht unseren deutschen Vorstellungen entspricht...
Also machen wir uns einen schönen Tag an Bord, ich lasse eine Waschmaschine laufen und beobachte Löschen und Laden. Auch das scheint hier mit orientalischem Tempo und orientalischeren Techniken abzugehen als wir es aus europäischen Häfen gewöhnt sind. Es mag auch dem starken Wind geschuldet sein, dass die Container am Kran so stark hin und her schaukeln und die Kranführer mehrere Versuche brauchen um sie präzise zu platzieren, dabei gar noch einen veritablen Blechschaden verursachen. Es dauert so lange es dauert, Inch'Allah.
Agadir – Casablanca
08.04.– 09.04., 491 km
Abfahrt um 21:30. Bei der Abfahrt erfahre ich en passant, dass die HENNEKE auf dieser Tour Huelva nicht anfährt. Et kütt wie et kütt. Und Cadiz sowieso nicht, auf diese wunderbare Stadt hatte ich mich besonders gefreut!
Wieder einmal stellt sich heraus, dass ein Frachtschiff nicht das richtige Transportmittel ist, wenn man die Städte der Welt sehen will, das ist aber nun nichts Neues. Einige meiner Freunde, die ich mit regelmäßigen Nachrichten versorge, scheinen langsam nervös zu werden. Bist du denn die ganze Zeit ans Schiff gekettet? In Agadir so schöne botanische Gärten, warum konntest du denn nicht an Land? Im Gegensatz zu mir. Bei diesen Reisen ist wortwörtlich der Weg das Ziel – herrlich auf dem Schiff zu sein und die Fahrt zu er"leben", wunderbar so vieles über die Seefahrt zu er"fahren". Man muss es eben mögen!
MONTAG, 9. April
Himmlischer Tag auf See, Sonne, Wind, 30km Sicht.
Was man nicht sieht, aber spürt: die Dünung, Neigung bis 15°. Das ist schon ganz schön schräg. Kann man sich aber drauf einstellen, weil es langsam und regelmäßig schaukelt.
Kurz nach Mittag kommt Casablanca in Sicht. Unverkennbar die riesige Hassan-Moschee. Zunächst liegen wir wieder auf Reede, zusammen mit 23 großen Schiffen, und das sind nur die, die ich von hier aus zählen kann! Das kann ja dauern. Immerhin hat meine Kammer Moscheeblick. Immer das Beste draus machen.
Das Interessante ist hier, dass die port authorities zwar die Meldung „HENNEKE RAMBOW is anchored“ bestätigt haben, aber ansonsten schweigen – üblich wäre, dass die einen Zeitpunkt nennen wann das Schiff in den Hafen darf. Es kann also 1h dauern oder 12h oder 2 Tage...
Es folgt eine (kulturtypische?) Aufführung, die sich zu berichten lohnt. (Jedenfalls hat mein Mann, mit dem ich schon viel in Marokko gereist bin, seinen Spaß daran gehabt!)
Akt I: Chaotische Funk-Kommunikation zwischen dem Lotsen, der Kontrollstelle, der HENNEKE RAMBOW und der LOUIS C. Es gibt hier offenbar nur einen Lotsen, der dann jeweils auf das Schiff klimmt, welches als nächstes in den Hafen einfährt.
LOUIS C. sollte zuerst Einfahrt haben, HENNEKE Nr. Two. Alles klar. Dann ist die LOUIS C. noch nicht parat, warum auch immer. Der Lotse verkündet: HENNEKE soll losfahren, full power. Captain fragt noch mal nach: sind wir jetzt Nr. One? Confirmed.
Also braust die HENNEKE los Richtung Hafeneinfahrt (was man bei diesen Schiffen so brausen nennt). Zugleich sieht man, wie LOUIS C. sich in Bewegung setzt. Funkverkehr Lotse/LOUIS C. Unser Cpt freut sich: nix da, ihr seid Nr. Two! HENNEKE fährt, LOUIS C. fährt, langsam wird es spannend.
Dann sagt die Zentrale: HENNEKE, reduce speed, LOUIS is Nr. One. Noch bisschen Hin u. Her zwischen HENNEKE, Lotse und Zentrale, dann fahren wir zähneknirschend zurück und 20 min im Kreis(!), wieder Anker werfen lohnt sich nicht, sehr unnötig das alles.
Akt II: Die Kontrollstelle gibt bekannt: Wir dürfen nun in den Hafen einfahren.
Die Dünung und der starke Wind, die schon auf der Reede zu bemerken waren, führen zu beachtlichen Wellen an der Hafeneinfahrt, die sich meterhoch brechen. Cpt Drewes meistert die Situation und steuert die HENNEKE gekonnt durch die Brecher.
Danach (!), man fragt sich wirklich wozu jetzt noch, wird der Lotse an Bord gebracht, in Begleitung eines zivil gekleideten Kollegen (sehr ungewöhnlich). Sofort geht der Showdown los, in dem DER KAPITÄN des Schiffes und DER LOTSE, der sich obendrein vor seinem mitgebrachten Adlatus die Show nicht stehlen lassen kann, die Geweihe kreuzen. Aber richtig volle Lautstärke. Erst beiderseitige Vorwürfe, wer wann welche Anordnung gegeben bzw. falsch verstanden hat. Dann der Kampf darum, wer ans Steuer darf. Cpt: I will do the manoevre, I am not for the first time in this port. Lotse: But I am here for the first time (?), I manoevred 400 m vessels ... (hä???)
Eine großartige Gelegenheit, etwaige (Vor-)Urteile über die Männer dieses Kulturkreises noch mal so richtig nachzuschärfen! Jammerschade, dass ich davon kein Video aufnehmen konnte. Hätte die Situation womöglich weiter angereichert. Es hat schon gereicht, dass ich als Frau auf der Brücke war, und dazu noch ohne Kopftuch.
Übrigens hat natürlich der Cpt gewonnen, sich das Steuer nicht entreißen lassen und souverän und unfallfrei am zugewiesenen Liegeplatz angelegt. Das musste der arrogante Kerl hoheitsvoll mit "you did a good job!" bewerten. Hauptsache das letzte Wort, dieser Spacken.
Bei der Gelegenheit (bzw. danach, natürlich) lasse ich mir mal die Rechtslage erklären: Die Lotsen sind nur "Berater", die Verantwortung bleibt beim Kapitän - auch wenn dieser sich überreden lassen würde das Steuer abzugeben. (Da sind sie bei Cpt Drewes allerdings am Richtigen!)
Ankunft im Hafen von Casablanca gegen 19:20. Man hofft noch vor Mitternacht wieder auslaufen zu können. Das darf man aber stark bezweifeln, da sie mit dem Löschen offenbar heute Abend gar nicht mehr anfangen.
An Landgang ist demnach nicht zu denken. Fraglich ob man das bedauern soll, nachdem die Attraktionen der Stadt und der Aufwand, der zum Verlassen des Terminals nötig ist, in groteskem Verhältnis stehen. Nach meiner Erinnerung an diese Stadt, die allerdings 15 Jahre alt ist, gibt es hier nichts, was einen mühseligen Landgang lohnen würde.
Casablanca – Setúbal
10.04. – 11.04., 595 km
DIENSTAG, 10. April
Um 06:00 werde ich vom Anwerfen der Maschine geweckt – kurz darauf sehe ich, dass wir schon fahren.
Nachdem bis abends 23:00 keine Anzeichen von Verladung sichtbar waren (und eine Abfahrt 24:00 nicht mehr denkbar schien), bin ich schlafen gegangen. In der Nacht hat das Schiff sich paar Mal geschüttelt... Deswegen denke ich zunächst, dass wir an einen anderen Liegeplatz fahren, um dort zu laden. Aber nein, alles ist schon erledigt, wir verlassen den Hafen Richtung Setúbal.
Cpt erwartet für die Nacht Windstärke 8, wir fahren jetzt in ein richtiges Sturmtief rein.
Die Nacht des Grauens
Vor der Küste von Portugal erwischt uns in der Nacht wie vorhergesagt der "richtige" Sturm. Windstärke 8, Wellen 8-10m hoch, da merkt man erstaunt, was für eine Nussschale unser Schiff mit 133m Länge und 23m Breite ist. Alles schräg! Das Schiff dreht sich um alle Achsen, maximale Querneigung über 30°, dazu Steigen/Fallen ohne Ende.
Zweimal schraubt sich der Stuhl los, den ich mit der Kette am Boden befestigt habe. Um ihn wieder einzuhaken knie ich mich daneben auf den Boden – und stoße mir übel den Kopf am Tisch. Jede Bewegung in der Kammer und im Bad wird zum Erlebnis und trägt mir mehrere blaue Flecken ein. Mein Flaschenensemble im Kühlschrank, vermeintlich fest verstaut, war so vielen Richtungsänderungen auch nicht gewachsen, Riesengeklirr, das mich das Schlimmste (Bruch) vermuten lässt.
Gerne würde ich das Geschehen auf der Brücke beobachten, aber ich habe jetzt wirklich Angst auf der Treppe zu stürzen. Im Bett habe ich nichts zu befürchten, werde aber, kaum eingenickt, immer wieder von Schlagen und Schütteln geweckt. Zum Lesen/Musikhören bin ich längst zu müde.
MITTWOCH, 11. April
Am Morgen ist der Sturm überstanden, aber ich bin völlig fertig vor Müdigkeit. Immerhin ist jetzt wohl erwiesen, dass ich zum Glück nicht zu Seekrankheit neige.
Cpt Drewes hat auf meine Frage, ob so was normal sei, (natürlich) eine coole Antwort: "bei Sturm ja". Er und die anderen meinen aber auch, dass solche Nächte die Ausnahme sind, sonst würden sie die Lust verlieren.
Auf Nachfrage haben alle eine furchtbare Nacht gehabt, nicht nur wir Landratten, auch Cpt, Chief und Cookie: "no good night". Das braucht wirklich niemand.
Dann muss ich unbedingt herausfinden, warum das LD-log vor dem Hafen von Setúbal noch mal so einen Zacken in der Route verzeichnet hat? Vielleicht wegen des Sturms? Nein, auf Nachfrage stellt sich raus, dass wir zu früh da waren und noch ein paar Runden im Kreis fahren mussten, bis die Einfahrt zugelassen wurde. Aha. – Ich scheine die erste mit der coolen App zu sein. Cpt Drewes ist immer wieder erstaunt über meine Fragen. Ob das jeder andere auch lustig findet, wenn er nächtliche Kursabweichungen begründen muss?
Setúbal ist ein nettes kleines Hafenstädtchen südlich von Lissabon.
Sehr sauber und hübsch, die Fassaden mit den typischen bunten Fliesen verkleidet.
Hier können wir recht einfach an Land gehen, Taxi holt/bringt einen direkt an die Gangway, am Gate reicht der Pass.
Hier ist es auch nicht wärmer als in Agadir, 12° bei eisigem Wind. Das fiel mir leider erst auf, als ich im Taxi saß und die Fußgänger mit ihren Pelzkrägen sah. Da ich weder eine dicke noch eine dünne Jacke anhabe, bleibt nichts anderes übrig als mich inhäusig rumzutreiben.
Als erstes habe ich die schöne, große Markthalle entdeckt, das ist natürlich was für mich. Auch hier ist die Stirnwand mit aufwendigen Fliesen geschmückt. Dazu ein tolles Angebot, in erster Linie natürlich Fische, aber auch Fleisch, Geflügel, Obst und Gemüse.
Vor der Rückfahrt mit dem Taxi habe ich noch die geniale Idee, mir in der Weinhandlung, die zur Markthalle gehört, Weißwein im Karton zu kaufen. Jetzt hat die Polterei der Flaschen im Kühlschrank ein Ende!
Setúbal – Tilbury
11.04. – 14.04., 2024 km
DONNERSTAG, 12. April
Wir fahren im Atlantik, etwa querab von Porto. Ruhiges Wetter, Regen. Sieht gut aus: das Sturmgebiet von gestern ist durch, das nächste noch nicht da.
Gut, eine ganze Nacht lang geschlafen zu haben! So geht es auch dem Mitpassagier, den ich beim Frühstück treffe. Wir sind uns entspannt einig, dass das jetzt ist wie Busfahren, obwohl die normale Dünung das Schiff natürlich weiterhin unaufhörlich bewegt.
An so einem Regentag mache ich es mir in der Kammer gemütlich und schreibe ein bisschen an meinem Log herum.
Gegen 11 geht das Telefon an meinem Schreibtisch: Cpt Drewes fragt, ob ich immer noch da bin, mich hätte heute noch keiner gesehen. Das finde ich ungemein aufmerksam - könnte ja sein dass es mir irgendwie nicht gut geht!
(Er hätte auch seinen Ersten fragen können, der war in der Messe, als ich gefrühstückt habe. Aber der spricht ja nicht.)
FREITAG, 13. April
Mein sensibles Handy hat gestern oder heute Nacht irgendwann ein Mobilnetz aufgespürt (ich tippe auf Cap Finisterre) und sich vorübergehend eingeloggt, dabei etwas voreilig die Uhr auf MEZ, d.h. eine Stunde zurückgestellt ... Deshalb weckte mich der Wecker bereits um kurz nach 6, was mir diese schöne Morgenstunde bescherte.
Das scheinbar glatte, in der frühen Sonne glänzende Meer, die riesigen Schiffe, die vor und neben uns ruhig ihren Kurs ziehen, das ist eine einzigartige, wundervolle Stimmung.
"Scheinbar glatt" heißt, dass es weiterhin Dünung gibt, so ist der Atlantik. Aber langsam und gleichmäßig mit nicht mehr als 10°. Erstaunlich, wie schnell man sich an alles gewöhnen kann. Auf dem Hinweg hatte uns – dem Mitpassagier geht es genauso – eben diese Bewegung noch aus dem Gleichgewicht (und der Fassung!) gebracht.
Jetzt hat sich das Gehirn umgestellt: der Blick immer voraus auf den nächsten Punkt, wo man sich festhalten kann, immer reaktionsbereit, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Das erklärt, wie entspannt sich die Seeleute bewegen. Uns dass das für Vielreisende nicht mehr der Erwähnung wert ist!
Als ich eines Abends zur Abwechslung eine mitgebrachte DVD anschaue, fällt mir wieder auf, wie mein Gehirn in den wenigen Tagen auf See bereits konditioniert worden ist: Im Film stellt eine Frau ein Glas auf den Tisch. Sofort durchzuckt mich der Impuls: Festhalten! Das rutscht doch gleich! Die Selbstverständlichkeit, dass (wie an Land) allein die Schwerkraft ausreicht, damit alles bleibt wo es ist, ist mir offenbar schon abhanden gekommen.
Wir haben den Golf von Biscaya überquert und biegen am Nachmittag in den Kanal ein. Die Handys loggen sich mal hier, mal da in die Netze ein (Frankreich, England), und man bekommt dann jedes Mal eine Botschaft vom Provider mit den Konditionen.
Bei dieser Gelegenheit habe ich gelernt (bzw. gegoogelt), dass Jersey nicht zu Großbritannien gehört und folglich nicht zur EU! Deshalb warnt mein Provider vor hohen Tel./Mobilpreisen. – Jetzt aber auch richtig: Staatsform: Britischer Kronbesitz!, Staatsoberhaupt: Elizabeth II, Herzogin der Normandie! – ich bin sprachlos. Jersey wurde zweimal „unabhängig“: 1204 Trennung von der Normandie, 1945 Befreiung von der dt. Besatzung. Das wird ja immer abenteuerlicher. Bildungsreise!
Heute Abend zeigt sich das Meer babymild, glatt wie Seide. Auch das große Schiff schneidet nur haarfein seine Spur ein. Wunderschön.
SAMSTAG, 14. April
Gestern Nacht war es so schön windstill ... Folge: Nebel hat sich im Kanal breit gemacht, aber wie! Wo man in der Stadt noch die gegenüberliegende Straßenseite erkennen würde, sieht man hier gleich gar nichts mehr. Cpt meint, solange man noch den eigenen Mast sehen kann, geht's, das sind 120m. Na dann. Er wirkt aber auch schon ein bisschen nachdenklich.
Der Funk ist voll von Nachfragen in französisch gesprochenem Englisch ,"what is visibilití in se area of your ship" - die Antwort "100 meters" finde ich auch nicht beruhigend. Was die für einen Bremsweg haben ...
Jetzt sind beide Schiffsführer an ihrem Platz und hochkonzentriert. Die Fahrt ausschließlich nach Radar ist spannend und anstrengend. Im Kanal ist viel Schiffsbetrieb, dazu die kreuzenden Fähren Dover - Calais. Nicht gerechnet die vielen kleinen Fischerboote! Die Vorstellung, dass all die auf dem Radarschirm sichtbaren Schiffe ganz nah dran sind, obwohl man kein einziges davon sehen kann, ist schon gruselig!
Im Moment besteht die Aufgabe darin rechtzeitig in die Themse einzubiegen. Das funktioniert so wie Linksabbiegen im Straßenverkehr, nur ohne Abbiegespur und -ampel. Und ohne Sicht. Nach einem ziemlich dichten Pulk von Schiffen, der entgegenkommt, sucht der Cpt auf dem Radar eine passende Lücke, bevor der nächste Pulk sich nähert. Natürlich mit coolen Sprüchen "So, jetzt muss es passen, wenn der letzte nicht schnell genug weg ist, hat er Pech gehabt!" Von wegen. Gut, es sind niedrige Geschwindigkeiten. Aber der Bremsweg!!!
Interessant ist an dieser Stelle noch, dass man ausschließlich im 90°-Winkel abbiegen darf. Das macht Sinn: wenn jetzt noch jeder schräg die Fahrbahn kreuzt, ist endgültig Chaos. Cpt Drewes hat das natürlich vorbildlich erledigt, wie mein Log dokumentiert!
An der Einfahrt zur Themse ist der Lotse an Bord gekommen. In schicker Uniform, Her Majesty's Pilot sozusagen, und ist gesprächig und freundlich. Er spricht ein für Südengland "typisches" Englisch (jedenfalls für meine Ohren), in das man sich ein bisschen reinhören muss. A koind of, To the other soide, Give more loine.
Tilbury, der große Containerhafen vor London. Nachdem ich den LONDON INTERNATIONAL CRUISE TERMINAL in der Karte gesehen hatte, hatte ich mit etwas Touri-Infrastruktur gerechnet. Das Gebäude (Denkmalschutz) sieht auch toll repräsentativ aus; die Kreuzfahrer, die hier einst ausgekippt wurden, werden aber inzwischen von Dover aus nach London gekarrt.
Das Verlassen des Terminals stellt sich mal wieder als unfassbar aufwendig heraus. Taxi ans Schiff bestellen, weil das Terminal zum Laufen viel zu riesig und zu gefährlich ist, erstmal mit dem Taxi zum nächsten ATM im übernächsten Ort um selbiges zu bezahlen (natürlich habe ich keine GBP dabei und von EUR wollen sie hier nix wissen) – das passt alles nicht. Deshalb war auch niemand von der Besatzung hier jemals an Land, obwohl sie bei jeder Tour hier durchkommen.
Sogar der nette Lotse, in der Nähe ansässig, riet "to be honest" davon ab den Ort zu besuchen. Not noice, da würde er mit seiner Frau (moi woife) niemals hingehen.
Der gute Tipp lautete mit dem Zug nach London zu fahren, 40 km only. (Er hat wirklich kilometers gesagt!!!) Das war mir dann doch zu doll für ein paar Stunden.
Da mache ich mir einen gemütlichen Nachmittag in der milden britischen Sonne (nur LSF 3) und beobachte das Löschen und Laden. Immer wieder sehenswert!
Tilbury – Rotterdam
15.04. – 15.04., 302 km
SONNTAG, 15. April
Wecken: pünktlich um 05:45 wird der Motor angeworfen. Blick nach draußen: man kann nicht mal das Wasser sehen!
LONDON FOG! Der ist ja legendär. Auf der Brücke dasselbe Bild. Also um den Mast zu sehen, muss man schon wissen, wo der ist und dazu noch etwas Vorstellungskraft haben: das kleine Lichtlein da vorne, da muss es sein.
Von den hohen Kranbrücken aus könnte man jetzt nicht laden, weil man aus 50m Höhe nicht erkennen kann, wo die Container abgegriffen oder eingepasst werden müssen. Das ist zum Glück schon gestern Abend abgeschlossen worden.
An Land fahren die großen Transportfahrzeuge scheinbar unbeirrt durch den Nebel. Da weiß man, warum Fußgänger hier nicht rumlaufen dürfen. Man kann kaum die Burschen am Kai erkennen, die die Leinen losmachen. Cpt sagt, Ablegen geht, aber Anlegen wäre Hölle bei solcher Sicht. Glaubt man aufs Wort.
Dann geht die Fahrt los: Ablegen und erstmal Wenden auf der Themse. Wohin man blickt, sieht man nur Nebel, d.h. man hat keinerlei Anhaltspunkt in welche Richtung das Schiff sich überhaupt bewegt. Geradezu gespenstisch. Besonders mit der Vorstellung, dass sich hier noch weitere Schiffe bewegen, die genauso wenig sehen.
Gefahren wird ausschließlich nach Radar. Der Lotse sagt, wenn er den ganzen Tag so konzentriert auf die Bildschirme starren muss (und das scheint hier nicht so selten vorzukommen), kann er seine Augen am Abend wegschmeißen. Da hätte er sich auch einen Bildschirmarbeitsplatz im Büro aussuchen können. Not noice!
Außer uns sind aber fast keine Schiffe unterwegs. Einer meldet über Funk, sie wären "waiting for better visibility", was Lotse und Cpt grinsend mit "you will wait for three days!" quittieren. Alles Weicheier.
Der Nebel beschränkt sich zum Glück auf die Themse. Auf der Nordsee ist es dunstig und ruhig. Auch der Liegeplatz in Rotterdam im Prinses Beatrixhaven ist schon frei, so dass wir ohne Zwischenparken auf der Reede dort anlegen können.
Der Plan lautet: In der Nacht wird gelöscht/geladen. Morgen früh verholen an Berth 2742, gleicher Hafen. Dort soll der Schaden von Agadir repariert werden, geplant ab 12:00. Das heißt: erst abends Abfahrt nach Hamburg – das hört sich nach einem schönen Tag mit einem Ausflug in die Innenstadt von Rotterdam an!
Rotterdam - Hamburg
16.04. – 17.04., 579 km
MONTAG, 16. April
Alles anders: die Reparaturen am Schiff haben schon am Morgen begonnen, Ende offen, vielleicht schon mittags? Damit haben sich alle Ausflugspläne erledigt.
Längere Diskussion mit dem Mitpassagier, für welchen Zug ab Hamburg man wohl ein Ticket buchen kann. Womöglich noch morgen (Di) Abend? Wir könnten auch in einer Glaskugel lesen...
Abfahrt ab Rotterdam dann doch erst kurz vor 17:00. Jetzt muss Cpt Drewes noch mal seine Nerven beweisen. So ein Chaos bei der Ausfahrt aus dem engen Hafenbecken! Mehrere Bratschen (die flachen Flussschiffe) fahren gleichzeitig los, eine muss gar noch drehen, dann fahren zwei weitere Containerschiffe ein, ein dickes Tankschiff lungert an der Einfahrt herum, und gerade als wir dieses passieren, kommt noch ein winziges Sandschiff quer, das uns garantiert nicht gesehen hat ... Alles gut gegangen.
Inzwischen ist klar, dass wir in morgen Abend erstmal in der Elbe vor Anker gehen und erst spätabends am Kai anlegen. Ich habe mein Ticket für den IC am Mittwochvormittag gebucht. Das soll ja wohl reichen.
DIENSTAG, 17. April
Ein herrlicher Morgen! Gegen 08:30 passieren wir Spiekeroog, der Leuchtturm ist mit dem Glas zu erkennen. Backbord (im Norden) angeblich Helgoland, mehr zu ahnen als zu sehen.
Mittlerweile ist viel dichterer Schiffsbetrieb als wir es vom Atlantik gewöhnt sind, ich kann allein 12 Schiffe erkennen die in unsere Richtung fahren. Gleich kommen noch die dazu, die aus Richtung Skagen kommen.
Noch ein Highlight: Wir begegnen einem alten Segelschiff, THOR HEYERDAHL. Überaus eindrucksvoll. Für uns Passagiere – für Cpt Drewes sind weiße Segel ein rotes Tuch! Ein schönes Bild.
Steuerbord kann man jetzt dank niedrigem Wasser das Watt erkennen vor der Insel Neuwerk. Großartig. Ich liebe das Wattenmeer und freue mich schon riesig auf den Urlaub mit meinem Mann dort in zwei Wochen!
Große Überraschung! Eine Email von Herrn Reeh: er hat die Vorbeifahrt der HENNEKE in Cuxhaven beobachtet und mich an Bord vermisst! Wer rechnet denn mit so was??? Da hätte ich doch gerne gewunken! (Auch wenn ich ihn nicht erkannt hätte ...) War wohl grade woanders beschäftigt - man kommt ja zu nix auf so einem Schiff!
Wie man sich, einmal angefixt, der Faszination der Frachtschiffe nicht mehr entziehen kann, zeigt übrigens das Beispiel meines Ehemannes: Zwar hat er das Thema Frachtschiffreisen nach einmaliger Erfahrung für sich persönlich abgeschlossen, aber natürlich verfolgt auch er meine Fahrt auf der HENNEKE minutiös auf MARINE TRAFFIC. (Und nicht nur das: bis heute folgt er der HENNEKE RAMBOW mit Interesse und meldet mir regelmäßig "jetzt ist sie im Golf von Biscaya", "jetzt liegt sie schon wieder vor St. Petersburg“!)
Seit 14:00 liegen wir vor Stadersand in der Sonne vor Anker, ich kann noch mal fein draußen sitzen mit meinem Buch, ganz ohne Fahrtwind. Noch ein schöner Tag an Bord, man muss auch mal Glück haben! Ich gehe jedenfalls davon aus, dass ich morgen früh in Hamburg von Bord gehen kann. Und zwar rechtzeitig für meinen Intercity um 10:46.
Und jetzt noch ein absoluter Höhepunkt zum Abschluss dieser an Höhepunkten wirklich reichen Reise: der nette Chief Sergej erlaubt uns auf meine Bitte im Maschinenraum beim Anlassen der Maschine anwesend zu sein! Ich darf sogar den Startknopf drücken und 11.400 PS in Gang bringen. WOW!!!
Dann folgt im Dunkeln die Fahrt über die Elbe, in die Stadt und den wunderbar erleuchteten Hafen, noch mal ein ganz besonderes Erlebnis. Kurz vor 23:00 legen wir am Burchardkai an. Ich denke noch kurz drüber nach, ob ich für morgen früh ein Taxi ans Gate bestellen soll ... Ach, morgen früh ist noch Zeit genug. Gute Nacht.
MITTWOCH, 18. April
Zum Abschluss der Reise wurde es noch einmal richtig spannend!
Plan: 07:00 Aufstehen. 07:30 Frühstück. 08:00 Sachen einpacken, Verabschieden, Shuttle bestellen. 09:00 Gate. Taxi bestellen. 10:00 Hbf. Zeitung kaufen, Brötchen kaufen. 10:46 Abfahrt IC nach Köln. Alles mit viel Luft.
Aus dem Leben einer Frachtschiffreisenden: 07:00 Aufstehen. 07:30 Frühstück. 07:45 Maschine wird angeworfen. (???) 07:50 Schiff legt ab. 07:51 Ich flitze auf die Brücke. Wo fahren wir denn jetzt hin? Cpt: "Nach Rotterdam."
Natürlich ein Scherz. Zum SüdwestTerminal! Schnell kalkuliert: da sind wir ca. 08:30, dann bin ich gegen 09:00 von Bord, immer noch viel Luft. Et kütt wie et kütt. Entspannt genieße ich die letzte Fahrt durch Hamburg bei herrlichem Sonnenschein. (Mein Mitpassagier, notorischer Frühaufsteher, ist bereits um 06:30 von Bord gegangen.)
Aber das zieht sich ... Bis wir da sind und angelegt haben – ach, ich muss ja auch noch einpacken! – und ich das Schiff verlassen kann, haben wir 09:45. Jetzt aber los.
Taxi rufen, natürlich hat jetzt mein Handy erstmal keinen Empfang, warum eigentlich, dann heißt es: Taxi kommt in 10 bis 20 Minuten ... Und es ist bereits kurz vor 10:00! Schnell bei denen verabschieden, die in Sicht sind, alles ein bisschen überstürzt, natürlich hat jetzt jeder zu tun. Um 10:20 das Taxi, jetzt bitte ganz schnell zum Hbf. Um 10:40 sind wir da, just in time. Et hätt noch immer jot jejange.
Ein irgendwie passender Abschluss einer ungewöhnlichen Reise! Gerne wieder!