Frachtschiffreisen
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Mit M/S RAGNA von Brunsbüttel nach Mäntyluoto/Finnland und zurück

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26.Mai - 01.Juni 2018

Meine beiden vorherigen Reisen mit Schiffen der Reederei Jürgen Ohle, DORNBUSCH und HANNI hatten mir so gut gefallen, dass ich Lust auf das 3. Schiff, die RAGNA bekommen habe.

Gelegenheit zur Mitfahrt ergab sich am 26. Mai d.J. und die habe ich genutzt.

Wie immer Ein- und Ausstieg in der Schleuse Brunsbüttel. Für mich bequemer als die Autofahrerei nach und von Hamburg. Ich fahre dann etwa 30 Minuten von meiner Wohnung bis zur Schleuse.

Da das Schiff erst gegen 23:30 in Hamburg ablegte, und wegen der bestehenden Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Elbe nicht vor 3 Uhr morgens in der NOK-Schleuse zu erwarten war, habe ich den Kanalmakler gebeten, mich 1 Stunde vor der erwarteten Schleusung zu wecken.

Das hat auch gut geklappt und gegen 03:30 bin ich an Bord gegangen.

Der Seemann, der mir beim Gepäck half, erkannte mich sofort von der DORNBUSCH wieder.
Reeder Ohle fährt nicht nur unter deutscher Flagge und hat deutsche Kapitäne und Offiziere, auch die philippinischen Matrosen sind langjährig angeheuert.
Ich bin dann nur noch kurz auf die Brücke, mich an Bord zu melden und den Pass abzugeben.
Dann habe ich bis zum Frühstück um 07:30 weiter gepennt. Es gab 2 Bockwürste mit Rührei. Spezialität auf allen Ohle-Schiffen: Aufgebackene Brötchen.
Nach  dem Frühstück habe ich meine Kammer mit unverstelltem Blick voraus und  nach Steuerbord eingerichtet, besonders erfreut über eine Duschkabine,  nicht so ein fürchterlicher Schlabbervorhang, der sich um den Körper  wickelt, und dann auf der Brücke die 1. Offizierin (Chiefmate) begrüßt.
Das war eine Premiere für mich. Frauen auf der Brücke kannte ich noch nicht.
Die hat dann gleich dafür gesorgt, dass auf dem Deck vor meiner Kammer ein Liegestuhl für mich aufgestellt wurde. Bei dem Traumwetter höchst willkommen.
Dann kam der Zweite und holte mich für die Sicherheitseinweisung ab. Da habe ich gelernt, wie man einen Kälteschutzanzug – Immersion Suit – anzieht. Ich musste auch eine Schwimmweste korrekt anlegen und mein Platz im Freifaller-Rettungsboot wurde mir angewiesen. Alles sehr gewissenhaft.
Beim Mittagsessen habe ich die übrige Crew kennengelernt.

Der Kapitän sorgte dann für einen 2. Liegestuhl auf dem Brückendeck. Luxus pur.

Irgendwann nachmittags habe ich den fehlenden Schlaf nachgeholt. An Bord schlafe ich immer gut. Egal, was gerade passiert.

Ich war wieder einziger Passagier und genoss die volle Fürsorge. Die philippinische Köchin lieferte sehr leckere Verpflegung. Alle Ohle-Schiffe haben Ladies in der Pantry. Auch eine Besonderheit.

Die Mahlzeiten an Bord sind wichtig. Erfüllen auch eine soziale Funktion. Da wird viel besprochen, was während des normalen Dienstes nicht immer möglich ist, oder vergessen wurde. Und es werden Stories aller Art erzählt. Etwa so: Als ich noch bei XXX als YYY fuhr, hatten/waren wir mal,,,,,es folgt eine haarsträubende Geschichte.
Sonntags gibt es immer Eis zum Nachtisch. Und zwar riesige Portionen. In diesem Fall mit eingemachten Kirschen, Schlagsahne, Schokoladenstreußel.
Und weil traditionsgemäß Donnerstag immer Seemanns-Sonntag ist, auch. An Bord ist immer 2 mal Sonntag. Woher diese Tradition kommt, ist nicht ganz klar. Es gibt verschiedene Erklärungen. Ist aber eigentlich auch egal. Wichtig ist nur, dass es Eis gibt.
Die Schleusung in Kiel ging zügig.
In der Kieler Förde konnte man Segler sehen, die für die Kieler Woche trainierten. Ich habe einen Katamaran beobachtet, der im Trapez gesegelt wurde. Da kommt ein ziemliches Tempo auf. Dahinter in einem Speedboot der Trainer mit Megaphon.

Später erzählte mir der Kapitän, dass die Wasserschutz-Polizei Alkoholkontrollen in der Schleuse durchgeführt hat und er pusten musste.

Wenn man Fehmarnbelt und Kadetrinne hinter sich hat, wird es langsam langweilig: Immer weniger Begegnungen mit anderen Schiffen. Nur noch Wasser und man fährt und fährt…

Also den jeweiligen Liegestuhl in die Sonne gedreht, in den Windschatten gezogen und gedöst. Soll ja sehr erholsam sein. Abwechselung bringt dann wieder die nächste Mahlzeit.

Auf diesen Feedern ist immer nur 1 OOW = officer of the watch auf der Brücke. Auf See 4 Std. auf Revierfahrt 6 Std. Auch der Kapitän geht Wache.

Mir wurde auf der Brücke gleich der freie Sitz im Steuerstand angeboten und es ergaben sich sehr interessante und nette Unterhaltungen. Mit deutscher Schiffsführung geht das. Mit russischer, ukrainischer, polnischer, etc. wird das für mich immer etwas schwierig, weil ich mit diesem bordüblichen  „Oxtail-English“ nicht so gut klarkomme.

Die 1. Offizierin war für die Ladepläne verantwortlich und rechnete viel auf ihrem Laptop. Neben Containern wurde auch Stückgut gefahren. In diesem Fall waren das tonnenschwere Walzen für die Papierherstellung, von denen jeweils nur eine auf einen Trailer passte.

Das sind Präzisionswerkstücke, die mit besonderer Sorgfalt gestaut, gelascht und gehoben werden müssen. Das hat die junge Frau nicht nur berechnet, sondern auch die erforderlichen Arbeiten an Bord und im Hafen geleitet und  kontrolliert.

Aber auch Container müssen mathematisch exakt und nach den IMO Vorschriften für gefährliche Güter geladen und gelöscht werden.

Da ist nautisches Handwerk gefragt. Weil mich das alles interessiert hat, und ich sie nicht mit Fragen nerven wollte, hat sie mir ihre privaten nautischen Handbücher geliehen, in denen ich die grundsätzlichen Berechnungen und technischen Begriffe nachlesen konnte.

Und als sich der Kapitän über einige Segler ärgerte, habe ich auch eine neue Vokabel gelernt: WAFI = WIND ASSISTED FUCKING IDIOT. So geht Bildung.

Nach etwa 60 Stunden Fahrt ab Kiel liefen wir in Mäntyluoto ein. Das ist der Seehafen von Pori, eine mittlere Stadt, etwa 20 Km entfernt.

In Mäntyluoto gibt es seit 1962 eine Deutsche Seemannsmission, in der neben einem deutschen Pfarrer auch 2 junge Deutsche ein freiwilliges soziales jahr  ableisten.

Das waren 2 Abiturienten, die auf ihren Studienplatz warteten. Ein junges Mädchen und ein junger Mann.

Das Mädchen kam an Bord und fuhr mich dann in die Stadt, führte mich herum und zeigte mir auf der Rückfahrt noch einen wunderschönen, langen Strandabschnitt mit Kiefernwäldern, genannt finnische Riviera.
Die Seemannsmission ist eingerichtet, wie die in Brunsbüttel, in der ich mal ausgeholfen habe: gemütlicher Clubraum, mit Tresen, Poolbillard, Tischtennisplatte, div. Musikinstrumente, Karaoke Anlage, Andachtsraum, Verkaufsraum für persönlichen Bedarf, Souvenirs, Caps, T-Shirts.

Für mich genau richtig: ich habe immer Spaß an solchen Sachen und habe mir ein T-Shirt mit finnischer Flagge drauf gekauft.

Nachdem ich meine Schuhe wieder angezogen habe, die bei Eintritt gegen Puschen zu tauschen waren, wurde ich wieder an Bord gefahren.


Bis fast 22:30 wurde noch gelöscht, am nächsten Tag wurde bis zum Mittagsessen geladen.
Bevor wir  gegen 13:00 wieder ausliefen zeigte mir der Chief noch seinen Bereich, erklärte mir die Funktionen der Schaltkästen im ECR= engine control room. Frischwasser wird an Bord erzeugt.
Dann begann die Rückreise. Mit umgekehrten Verhältnissen: Langweilige, (erholsame) Fahrt bis wir wieder in dichteren Verkehr kamen.

Nachmittags wurde eine international vorgeschriebene Übung durchgeführt: das Schiff wurde nach Blinden Passagieren (engl. stowaways), und geschmuggeltem Rauschgift durchsucht. Die versteckte Plastiktüte mit Waschpulver wurde erfolgreich gefunden.

Große Aufregung in der Kieler Förde: Über BREMEN RESCUE, Funkstelle der Seerettung, ging ein MAYDAY Sammelanruf ein: „Person im Wasser“.

Ursache war ein treibender leerer Kajak mit persönlichen Gegenständen im Boot. Alle Schiffe wurden aufgefordert scharf Ausschau zu halten. Marine, SAR, Helikopter, suchten das Gebiet ab.

Ich war auf der Brücke und der Kapitän teilte mich als Ausguck ein. Es ist selbstverständlich, dieser Aufforderung nachzukommen.

Später stellte sich heraus, dass dem Eigner der Kajak „abhanden“ gekommen war. Wie auch immer.
Das kann teuer werden.

Die Schleusung in den NOK ging flott. Lotse und Steurer kamen an Bord und erzählten die dollsten Sachen über den Kajak, dessen Fahrer zu der Zeit immer noch gesucht wurde.

Lotsen- und Steurerwechsel in Rüsterbergen. Beide stiegen sofort vom Versetzer auf ein ostwärts gehendes Schiff über.

Das war auch für mich neu: Nur 1 Steurer an Bord, der auch in Rüsterbergen wechselte. Sonst waren immer 2 an Bord, die sich alle 25 Km abwechselten und die ganze Strecke mitfuhren. Für den wachfreien Steurer muss eine Kammer gestellt werden. Zum Ruhen.

Als klar war, dass wir nicht vor 01:30 Uhr in der Schleuse Brunbüttel sein würden, bin ich in der Koje verschwunden. Mit der Bitte, mich 1 Std. vorher zu wecken.

Erstmalig habe ich eine Einfahrt in die Schleuse bei Nacht gesehen, weil ich um diese Zeit eigentlich schlafe. Sich optisch in dem Lichtergewirr der 4 Kammern und der Baustelle zu orientieren, ist gar nicht so einfach und war entsprechend spannend.

Diesen Abschnitt fuhr der Lotse selbst von Hand. Die haben eine spezielle Software auf einem speziellen Tablet.  Erst das Anlegemanöver fuhr dann der Kapitän aus der Backbord-Nock.

Eine Mitarbeiterin des Maklers begleitete mich an Land dann noch zum Drehkreuz – neuerdings Vorschrift – öffnete mit ihrer Magnetkarte den Ausgang.

Dann waren es noch wenige Schritte zum Auto, die Fähre über den NOK  - ich war auf der  Südseite eingestiegen, wo auch mein Auto parkte - war auch da. Nachts fahren die nur alle 20 Minuten, und so gegen 02:45 war ich wieder in meiner Bude.

Abstecher: Mit dem Ein- und Aussteigen in der Schleuse Brunsbüttel ist das so eine Sache: Je nachdem, in welche Kammer der Dampfer geht, kann es passieren, dass man mit seinem Gepäck um die ganze Baustelle wandern muss. Und an Bord nehme ich lieber zu viel, als zu wenig mit.

Die Entscheidung wird vom Schleusenmeister oft erst last minute getroffen. Dieses Mal war aber alles genau passend für mich.

Fazit: Eine wunderschöne Reise auf einem gut geführten, gepflegtem Schiff mit sehr gastfreundlicher Besatzung, leckerem Essen, bequemer Kammer, bestem Wetter, interessanten Gesprächen und Geschichten.

Sogar der Kühlschrank in meiner Kammer war mit diversen Getränken, inclusive Bier, bestückt. Sozusagen eine Minibar. Völlig ungewöhnlich für ein Frachtschiff.

Man lernt eben nie aus.
Happy sailings
Ralf
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